Was ist Aufklärung? -- Immanuel Kant

Dienstag, 22. Februar 2011

Wie die Hamburger gewählt haben: eine Verdachtsberichterstattung

Hamburg, ist dein Hafen wichtiger als
deine Bürger?
Die hohen Verluste, welche die CDU bei der letzten Bürgerschaftswahl hinnehmen mußten, geben zu verstehen, daß die Hamburger nicht nach ihrer Überzeugung, sondern vielmehr nach dem wählen, wen sie für den derzeitigen Gewinner halten. Und der Verlierer war die CDU. Davon profitierten vor allem die SPD sowie auch die FDP. Wie der nirwanische beobachter bereits am 07.02.2011 Bericht über eine Wahlveranstaltung der FDP Hamburg am 06.02.2011 in Altona erstattet hat, hatte die FDP Hamburg nichts zu melden gehabt, was für irgendeinen Wähler interessant sein könnte. Ihre Vertreter waren üppig bei der Austeilung von politischen Sprüchen, deren Bedeutung nicht hinterfragt wurde. Wer dort FDP wählte, wählte nicht aus Überzeugung, sondern vielmehr aus Tradition.
Staatswappen der Hansestadt

Das Parteiprogramm beschränkte sich auf zwei Punkte:
  • die Schrumpfung des öffentlichen Haushaltes einerseits und
  • die Verhinderung der sogenannten „Einheitsschule“ andererseits.
Kann man durch solche Positionen ein politisches Programm aufbauen?

Sollte es zu einer Koalition zwischen der SPD und der FDP kommen, so müsse die SPD tun, was die FDP will. Selbstverständlich bildet diese Haltung keine gute Grundlage für eine Koalition. Zum Glück hat die SPD die absolute Mehrheit bei den letzten Bürgerschaftswahlen erringen können. Denn die FDP verkennt den Umfang ihrer Mächtigkeit im Verhältnis zu den anderen Parteien.
ein bißchen zu verfrüht, Madame.
Meinen Sie nicht?

Wenn wir Gewinne und Verluste prüfen, dann sehen wir, daß die Hamburger die SPD deswegen gewählt haben, weil sie in ihr einen Stabilitätsfaktor sieht. Die CDU ist auf ein politisches Experiment, das als solches nicht verkehrt war. Es hat nur nicht lange genug gedauert. Eine Spiegelung in den Wahlergebnissen zwischen CDU und SPD fand statt.
Die Qual der Wahl gibt es auch
beim Pferderennen,ähnlich
wie bei Wahlen.

Die Resultate zeigen, daß die CDU im Jahre 2008 42,6 % der Stimmen auf ihrer Liste vereinigen konnte, während die SPD lediglich 34,1 % der Stimmen errang. Jetzt finden Neuwahlen statt, weil die Koalition nicht mehr funktionsfähig, und wir entdecken, daß es die SPD ist, welche 48,3 % der Stimmen auf ihrer Liste vereinigen, während die CDU auf 21,9 % zusammenschrumpft. Das Machtgefälle zwischen den beiden Volksparteien wird zwar größer, aber es bleibt verhältnismäßig groß. Früher war es bei 8,5 %, jetzt liegt es bei 26,4 %.Im Jahre 2008 verlor die CDU 4,6 % der Stimmen im Vergleich zum Wahlergebnis vom 2004. Es darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, daß im Jahre 2004 die CDU die absolute Mehrheit in der Bürgerschaft mit 47,2 % der Stimmen erringen konnte. Dabei haben SPD, Grüne, FDP und die Linken an Stimmen zugenommen (SPD: 3,6 %; Grüne: 2,7 %; FDP: 1,9 % und Linkspartei 6,4 % im Vergleich zur Wahl im Jahre 2004).
Die meisten Hamburger haben die
Nase voll von Wahlen.

Da der Verlust der CDU größer ausfiel als der Gewinn der SPD, muß man erklären, in welche Richtung die übrigen Stimmen eingeflossen sind.

Das läßt sich am kleinen Gewinn der Grünen sowie am ebenfalls kleinen Gewinn der FDP erkennen. Hinzu müssen diejenigen Parteien berücksichtigt, welche die Hürde der Sperrklauselnicht nehmen konnten.
Die nächste Wahlgelegenheit
kommt diesmal erst in vier Jahren.

Daran ist zu erkennen, daß recht wenig Menschen die FDP deswegen gewählt haben, weil sie von ihrer Politik und ihrem politischen Vorhaben überzeugt waren, sondern weil sich die Stimmen von der CDU nach auswärts verlagert haben. Wer am Pferdewetten teilnimmt, wählt dasjenige Pferd, das gute Gewinnchancen hat. Schließlich will niemand einen Verlierer oder Versager wählen. So ein Wahlverhalten fördert allerdings die Demokratie nicht. Der Bürger ist vielmehr berufen, denjenigen zu wählen und demjenigen seine Stimme zu geben, den er einerseits für kompetent, andererseits für denjenigen hält, der seine Interessen am besten vertreten kann.

Was aber in Hamburg geschah, war ein Ereignis, das beim Pferdewetten vorkommt. Um dasjenige Pferd zu wählen, das gute Gewinnchancen hat, braucht man vom Pferd nicht „überzeugt“ zu sein. So war es auch in Hamburg.
In der Zwischenzeit muß man die Zeit mit den "echten
Pferden" verbringen ...

Quellen zur weiteren Recherche:
... und nicht mit dieser "Nudel-
und Waschlappen-Partei"
FOCUS-Online: Erdbeben mit Ansage [Kommentar zu den Wahlergebnissen in Hamburg 2011]

warum die Wähler die Wahlen nicht ernst nehmen warum die Wähler die Wahlen nicht ernst nehmen – eine nirwan-O-analyse:
Das hat u.E. viele Ursachen. Zum ersten ist das Wahlrecht noch kein Grundrecht. Weder der Verfassungsgeber in der Gestalt des Deutschen Bundestages haben ausdrücklich zur Sprache bringen können, daß das Wahlrecht ein Grundrecht darstellt. Dem Wortlaut nach ist Art. 38(1) Satz 1 GG weder ein Grundrecht noch eine grundrechtsähnliche Position, worauf sich der Bürger berufen kann, um irgendwelche Rechte geltend zu machen. Aus Art. 38 GG kann ein Staatsbürger nichts ableiten.
Vielmehr hat Art. 38 GG eine rein institutionelle Bedeutung, die mit Individualrechten nichts zu tun hat.

Ferner haben beide niemals dem Volk – einschließlich des Bürgers – deutlich genüg erklärt, daß der Staat – also die Bundesrepublik Deutschland für seine Legitimität auf die Wahlen angewiesen ist. Das Bundesverfassungsgericht beruft sich nach wie vor auf seine alte Auffassung im Urteil gegen die KPD vom 17.08.1956, daß Wahlen und ihre Ergebnisse für die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ausschlaggebend, sondern unentbehrlich sind. Damals hat das Gericht folgendes zum Sinn und Zweck der Wahlen hinsichtlich der Legitimierung der Staatsgewalt erklärt:
Halt's Maul, Bürger. Der Staat
ist legitim, ob es dir paßt
oder nicht !!

„Die Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland ist legitim. Sie ist es nicht nur deshalb, weil sie auf demokratische Weise zustande gekommen und seit ihrem Bestehen immer wieder in freien Wahlen vom Volke bestätigt worden ist. Sie ist es vor allem, weil sie – nicht notwen­dig in allen Einzelheiten, aber dem Grundsatze nach – Ausdruck der sozialen und politischen Gedankenwelt ist, die dem gegenwärtig erreichten kulturellen Zustand des deutschen Volkes entspricht.“ (vgl. S. 379 des o.a. anti-KPD-Urteils, nachlesbar in: BVerfGE 5, 85ff.)
Könnte die Bundesrepublik Deutschland diejenige
"Legtimationsprüfung" bestehen, welche der
Europarat ihr festlegt?

Demnach sind Sinn und Zweck der Wahlen, daß der Staat ermittelt, ob das Volk mitmacht und das trägt, was er tut. Macht es nicht mit, dann heißt es nicht, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr legitim ist, da Wahlen und Wahlergebnisse lediglich „zum Anschauen“ da und als solche staatssicherheitliche Zwecke erfüllen. Durch die Wahlen will der Staat erfahren, ob das Volk staatliche Maßnahmen und hoheitliche Politik befürwortet oder nicht. Befürwortet es sie nicht, so weiß der Staat, daß er  „unpopuläre“ Entscheidungen zu treffen hat, um seine bisherige Politik fortzusetzen. Dadurch „monarchisiert sich“ der Staat, der sich nach seinem Selbstverständnis aus Art. 20(1) GG – wenigstens de jure, wenn nicht gerade de facto – „demokratisch“, „republikanisch“, „rechtsstaatlich“ und „sozialstaatlich“ hält.
Denn nicht alles, was der Staat tut,
ist legitim.

Nach klassischem Verständnis ist die Monarchie – und nicht etwa die sozialistische Republik – das Gegenteil einer Demokratie. Es ist demnach nicht möglich, Demokratie und eine Monarchie gleichzeitig zu sein.

Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland kurz nach Verkündung dieses Urteils Protokoll Nr. 1 der EMRK ratifiziert, das einen Art. 3 EMRK enthält, welcher das Wahlrecht als Bürgerrecht, die Aufrechterhaltung einer demokratischen Ordnung als Menschenrecht erklärt.

Es fällt schwerer, eine Demokratie zu legitimieren,
als eine Monarchie oder eine Militärdiktatur.
Bis jetzt haben die Herrschaften diesen Wandel in bezug auf die neuen Legitimationsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Kenntnis genommen. Das hat u.E. folgende praktischen Konsequenzen nach sich gezogen:
  1. die Bürger wissen nicht, daß bei der Ausübung des Wahlrechts sie ein Recht ausüben, sondern meinen vielmehr, daß sie einer „staatsbürgerlichen Pflicht" nachgehen,
  2. sie wissen gar nicht, wem gegenüber sie diese Pflicht zu leisten haben und warum,
  3. ebensowenig wissen die Bürger nicht, daß durch die Wahl sie die Arbeit der Abgeordneten und ihrer jeweiligen Partei bewerten,
  4. zuallerletzt wissen sie nicht, daß sie neben einem Recht auch eine Kompetenz ausüben, zu deren Ausübung sie befugt sind.
Für "legitim" gehalten zu werden,
ist nicht gerade leicht.
Unter diesen Umständen ist es klar, daß die Bürger dieses Landes „keine Lust haben, ihre jeweilige Pflicht zu erfüllen". Die geringe Wahlbeteiligung darf niemanden verwundern, wenn die Menschen gar nicht wissen, warum sie zur Wahl gehen sollen und was sie in einem Wahllokal zu suchen haben, wenn der Staat den Bürgern falsche Auskunft über das Wesen des Wahlrechts erteilt und dadurch auch falsche Eindrücke wecken läßt.

Oft muß nicht viel passieren, um
einer Täuschung zu unterliegen.
Auf solche fehlerhafte Information obrigkeitlicher Herkunft reagiert der Bürger mit einer Haltung, woraus eine verkappte Verantwortungslosigkeit seinerseits hervorgeht. Er nimmt die Wahl und auch nicht die Wahlergebnisse nicht ernst. Die Wahl wird zu einem Pferdewetten. Der Staat kann dieser Neigung entgegenwirken, wenn er sich in die Lage versetzt, einen Dialog mit dem Bürger aufzubauen.
Doch gerade ein Abgeordneter muß
in der Lage sein, sich zu legitimieren.

Im Video über die FDP Hamburg und Katja Suding [siehe oben] haben wir gesehen, wie ein Zuwachs von 1,8 % eine Politikerin zu einer geistigen Haltung bewegen, die sie in die Maßlosigkeit stürzt. Schon hat die FDP Hamburg ein paar Stimmen mehr gewonnen, und es entsteht ein Phänomen, wo ein solches Ergebnis Suding und der FDP zu Kopf so sehr steigt, daß sie dann meinen, eine ernstzunehmende politische Kraft in Hamburg darzustellen.
Demokratische Herrschaften haben sich
im besonderen Maße zu legitimieren.

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