Was ist Aufklärung? -- Immanuel Kant

Donnerstag, 13. Januar 2011

75. Plenarsitzung des AvB am 13.01.2011 -- Einführung in das parlamentarische Leben

Die Glocke hat geläutet, und da waren die allerwenigstens Abgeordneten dort, um die Plenarsitzung zu beginnen. Die Abgeordneten in Berlin sind Menschen, die sich selbst nicht als Menschen, son­dern als Fahnenträger betrachten. Sowie jeder sein Päckchen im Leben tragen muß, trägt jeder Ab­geordnete sein Fähnchen.
Sie reden von "Sparen", meinen aber
klauen -- und nennen das auch noch liberal !!
Sparen = kleptokratisches Handeln (siehe
Politker -- Deutsch // Deutsch -- Politiker)

Die Abgeordneten nennen sich gegenseitig „Kollege“ vor allem dann, wenn sie einen guten Tag haben. Sie benehmen sich allerdings wie Konkurrenten, keineswegs als Kollegen. Sie betreiben einen heftig ausgetragenen Wettbewerb um die Vormachtstellung  bei folgenden Sachen:

  1. wer setzt sich am meisten für Zucht und Ordnung im Staatswesen sowie im Gesellschafts­wesen ein? Wer ist der "größte Arisierer" im ganzen Lande? Wer ist bereit, die strengst möglichste Ordnung im Lande herzustellen, die nur der Quälerei dient?
  2. wer „spart“ am meisten? Wer klaut vom Volk am meisten?
  3. wer erzählt dem Volk am meisten Lügen?
  4. wer entzieht dem Bürger am meisten seinen politischen und rechtlichen Schutz?
Trickser kennen sich untereinander gut
Jeder Abgeordnete will der beste sein. „Herr Kollege, ich weiß, daß Sie dem Volk viel Geld klauen“, würde ein Abgeordneter in einer Rede behaupten, „aber ich klaue mehr als Sie. Also bin ich besser als Sie. Unsere Partei und unsere Fraktion waren immer für den hoheitlichen Diebstahl, und wir haben jedesmal dafür gekämpft. Wir kämpfen weiter darum.“

Die Abgeordneten verwenden allerdings eine kryptische Sprache, ja so was wie einen Geheimcode, um diese Tatsachen zum Ausdruck zu bringen. Unter sich verstehen sich die Abgeordneten scheinbar ziemlich gut, aber die Entschlüsselung bleibt der Allgemeinheit verwehrt. Vielleicht wäre an dieser Stelle ein Wörterbuch Politiker -- Deutsch // Deutsch -- Politiker hilfreich.
Hier gibt es viele Marktschreier --
ein Dialog unter Tauben entsteht.

Das erste politische Thema, war das Problem mit der S-Bahn. Da erschien eine Abgeordnete von der Fraktion der Grünen am Podium. Das sogenannte „Chaos“ war ihr zu viel. Es muß endlich mal „Ordnung“ ins Land eingeführt werden. Was der Senat tut, sei eine absolute „Unverschämtheit“. Da­für gibt es weder eine Rechtfertigung noch ein Verzeihen. Das „Chaos“, das sie gerade halluziniert, führt zu „Abhängigkeit“, welche schädliche Nebenwirkungen nach sich zieht.
ein Wörterbuch für den Dialog
zwischen Bürger und "Volksvertreter"

In der Tat braucht man einen guten Übersetzer, der einem den Weg weist, um zu begreifen, was die Abgeordneten eigentlich sagen wollen und vor allem ob das, was sie sagen, überhaupt eine Bedeutung hat. Das Meiste, was ein Abgeord­neter in Worte faßt, ist semantisch irrelevant. Es ist in der Tat bedeutungs- oder inhaltsleer. Allerdings ist das eine gute geistige Übung, sich Quatsch anzuhören. Es dauert nur sehr lange, um zu erfahren, worüber eigentlich geredet wird.

Das ist auch hier der Fall. Während der Rede war es den Zuhörern nicht klar, ob die Abgeordnete etwas gegen Chaos an sich melden oder ob sie den Zu- oder Mißstand in der S-Bahn beanstanden wollte. Ist die Abgeordnete von der militaristisch handelnden Grünen-Fraktion eine Chaos-Hasserin, oder ist sie tatsächlich jemand, die an den Mißständen bei der Inbetriebnahme des S-Bahn-Verkehrs dergestalt interessiert ist, daß sie nach Wegen sucht, um diesen Mißstand zu beheben?
Auf diesen Gleisen können Sie nicht
fahren.

Aus ihrer Rede konnte keine eindeutige Antwort abgeleitet werden. Man hätte die Abgeordnete danach fragen können, aber das hat halt keiner gewagt.

Wenn sie mit sich selbst ehrlich miteinander umgehen würde, hätte sie folgendes gesagt:
"Hören Sie mal gut zu, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich hasse Chaos, und da ich Chaos hasse, hasse ich selbstverständlich das Chaos bei der S-Bahn. Gegenüber Chaos kann ich keine Toleranz aufbringen. Es muß ausgerottet werden, damit ich in dieser Welt überleben kann. Denn Chaos hasse ich überall. Dabei spielt es keine Rolle, ob es bei der S-Bahn entsteht."
Das wäre verständlich und nachvollziehbar, aber nein, sie zog lieber eine hysterische und manische Inszenierung ihres Klagelieds vor, die sie im Plenum ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber darstellte.

Sinn und Zweck dieser Verzögerung durch eine überzogene Dramatisierung von Ereignissen ist die Verlangsamung des Geschehens. Andere sollen mit unpassenden Mißgefühlen belastet werden, damit sie nicht mehr wissen, wie sie richtig und gut handeln können. Das Parlament ist ein Organ, das die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse verlangsamt.

Danach mußte Senator Dr. Zöllner den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Er trat besonders pathetisch auf. Vielleicht meinte er, daß er dadurch seine Autorität geltend machen konnte.
Hartz IV geht viele in Berlin an.

Es ist aber nicht so, daß alle Abgeordneten bürgerfeindlich sind. Gerade in der mündlichen Anfage haben wir etwas anderes erlebt. Ein Abgeordeneter griff ein Thema auf, das die meisten Menschen in dieser Stadt wirklich betrifft, nämlich Hartz IV. Seine Frage lautete:
"Wie hoch ist der neuerliche Hartz IV-Klagerekord des letzten Jahres in Berlin, und wie ist in diesem Zusammenhang die Situation des Berliner Sozialgerichts einzuschätzen?"
Das war eine sehr kurze Frage, mit der der Abgeordnete viel zu sagen versuchte. Ich hielt danach eine kurze Aussprache mit Herrn Rainer-Michael Lehmann, MdA [SPD-Fraktion], nachdem Senatorin von der Aue seine Frage beantwortet hat, und fragte nachdem, was er mit der Frage meinte und welche Beweggründe er an den Tag gelegt hat, als er dem Senat die Frage stellte.
Rainer-Michael Lehmann, MdA

Er erklärte mir, daß die Frage nicht so zu verstehen war, daß er die Auffassung vertritt, die Bürger würden zu viel klagen und demzufolge die öffentliche Ordnung damit gefährden. Die Bürger sollen ruhig klagen, um die Rechtsordnung durchzusetzen und dabei auch das Rechtsstaatsprinzip umzusetzen.

Er bedauerte allerdings, daß in den meisten Fällen der Bürger zu lange warten muß, bis sein Verfahren bearbeitet wird. Zwei Organe werden an dieser Stelle betroffen: das sind zunächst mal die Gerichte und dann die Verwaltung. Die Verwaltung setzt sich wiederum aus
  • Bezirk,
  • Land und
  • Bund zusammen,
wobei der Bund, vertreten durch die Arbeitsagentur für Arbeit, die allerwichtigste Verwaltung ist. In der Vergangenheit das Land zu wenig Einsatz in dieser Sache geleistet, aber durch die Antwort der Frau Senatorin von der Aue sieht er eine Möglichkeit, daß sich das Land kräftiger in der Arbeitslo­senverwaltung einbringt.
Ein bürgerfreundlicher Abgeordneter gibt den Ton an.

Gefragt danach, wo die Defizite liegen, antwortet Lehmann, daß es die Verwaltung ist, die das Gesetz nicht richtig anwendet. Das liegt aus seiner Erfahrung mit der Verwaltung daran, daß die Beamten und übrigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes den Bürger als Bittsteller betrachten.

Die andere Möglichkeit wäre, wenn sich der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst selbst als Dienstleister und demzufolge als Diener des Volks handeln würde.

Wie sieht der derzeitige Stand der Sachen aus?, fragte ich ihn.
Der gute Abgeordnete vermittelt
zwischen Bürger und Staat.

Die Sache geht in die Richtung Dienstleister, aber es gibt nach wie vor viele Defizite“, antwortete Lehmann. Was es noch zu tun gibt, hat mir Lehmann nicht mitgeteilt, aber vielleicht erfahren wir das beim nächsten Mal.

An diesem Tag waren die Abgeordneten besonders aggressiv, indem sie sich gegenseitig beleidigten und anschrien. Es gab eine Menge giftiger Reden, welche mit einer deutlichen verfassungsfeindli­chen Sabotage einherging. 


Die Parteien von der CDU bis zur Linkspartei unterscheiden sich kaum voneinander. Da sich keiner sich mit dieser Realität konfrontieren möchte, bilden sich die Abgeordneten ein, sie seien – was z,.B. ihre politische Konfession angeht – grundsätzlich so verschieden, daß sie nicht miteinander re­den können oder auch dürfen.

Dies ist ein bisher gelungener Versuch des Parlaments, die Ähnlichkeiten unter den Parteien und den Fraktio­nen zu verdecken. Bisher konnte das Parlament den Eindruck wecken, es gäbe verschiedene Partei­en in Berlin und es herrsche kein Ein-Parteien-System so, wie dies vor allem bei einigen afrikani­schen Ländern vorkommt. Die Frage ist hier, wie lange der Bürger braucht, um die wahren Verhältnisse in „seinem“ Parlament durchschauen zu können.


Eine Debatte gab es über das "Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug und bei den Sozialen Diensten der Justiz des Landes Berlin".
Hätte er nicht ein "perfekter"
Abgeordneter sein können?

Abg. Kohlmeier [SPD-Fraktion] vertrat die Auffassung, daß die Strafgesetze die Allgemeinheit vor Kriminellen schützt. Berlin soll eine "sichere Stadt", in der die Menschen vor den Straftaten anderer geschützt werden. Warum es dennoch ein Datenschutzgesetz für Gefängnisinsassen geben soll, hat er leider nicht erklären können.

Abg. Trapp [CDU-Fraktion] hat über das Gesetz wenig zu sagen. Sein Redebeitrag enthielt aller­dings viele dogmatische Behauptungen über das Sosein der angeblichen „BRD“ oder das Sosein Berlins. Er beschränkte allerdings auf das Organisatorische sowie auf das Systemische im Gesetz.
... oder wie sieht es mit ihm aus?

Abg. Dr. Lederer [Linkspartei] behauptete, das Gesetz sei einfach wundervoll. Man könne es demzufolge nicht ablehnen.

Abg. Lux [Fraktion der Grünen] meinte allerdings, dieses Gesetz sei kein wirkliches Datenschutzgesetz. Vielmehr schränkt das Gesetz den Datenschutz der Häftlinge ein. Der Name des Gesetzes gibt nicht das wieder, was inhaltlich tatsächlich im Gesetz steht. Dort fällt der Datenschutz schwach aus.

Abg. Dr. Kluckert [FDP-Fraktion] behauptete, das Gesetz sei als „modern“ aufzufassen, ohne zu sa­gen, was an diesem Gesetz „modern“ sei. Vollzugssachen dürfen allerdings nicht in einem Daten­schutzrecht stehen. Diese Sachen gehören in die Kategorie „Vollzugsrecht“. Dr. Kluckert nahm während seines Redebeitrag mehrmals Bezug auf den Beitrag von Abg. Lux.
... und ich habe doch Recht !!!

Die Vision Kluckerts über die verfassungsmäßige Ordnung läßt mehr als einiges zu wünschen üb­rig. Eine Verfassung, die nur als Gerüst besteht, ohne daß ein Bauwerk daraus entsteht, ist keine Verfassung im verfassungsstaatlichen Sinne. Der FDP-Vertreter in Rechtsfragen meint, es muß alles an seinem Platz stehen, und dann gilt die verfassungsmäßige Ordnung als umgesetzt. Damit macht er sich das Leben – und darüberhinaus das Leben des politischen Körpers – zu einfach. Das Rechts­staatsprinzip entfällt total, das Volkssouveränitätsprinzip hat im Obrigkeitsstaat Deutschland nichts zu suchen.
Dr. Sebastian Kluckert, MdA
auf facebook
Dr. Kluckerts Rechtslehre

Es gibt kein Recht auf Widerstand, wenn das Parlament es unternimmt, die Rechts- und verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Und was ist nunmehr mit den Grundrechten – nicht nur die Bundes-, sondern auch die Landesgrundrechte? Wann werden sie verwirklicht? Das sind Fragen, die Abgeordnete durchaus beantworten sollten.

Zu vermissen von allen Abgeordneten während der ganzen Debatte war eine deutliche Bezugnahme zu den Grundrechten sowie auch zur Umsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung so, wie dies in Art. 20 GG steht. Wie ersichtlich, hat das Parlament es auf diesem Wege offenkundig nicht vor, die verfassungsmäßige Ordnung umzusetzen (vgl. Art. 20(4) GG).
Tja, man muß halt eine Geschichte
darüber schreiben.

Eine gute Frage, die man einem Abgeordneten stellen kann, lautet: Wen vertreten Sie? Die Antwort wird so ausfallen: meine Partei, das [gesamte oder das "ganze"] Volk oder – wenn er wirklich ehrlich ist – nieman­den. Wenn er die dritte Antwort gibt, dann handelt es sich bei seiner Tätigkeit um ein Mandat ohne Auftrag. Das gibt es tatsächlich. Das heißt "freies Mandat". Dieses Mandat heißt deswegen "frei", weil der Abgeordnete keinen Bezug zu denjenigen, die ihn gewählt oder den er vertritt, nehmen muß. "Frei" ist es nicht, weil sich der Angeordnete dadurch "frei" fühlt. Durch das „freie Mandat“ verliert der Staat seine Legitimität. Ebensosehr verlieren die Wahlen ihre Legitimität, aus denen die Abgeordneten angeblich „hervorgegangen“ sind. Zur Geschäftsführung ohne Auftrag, der gegen den Willen des Geschäftsherrn ausgeführt wird, kann auf § 677, 678 BGB Bezug genommen werden:
Wer ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein, hat das Geschäft so zu führen, wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert.“ (vgl. § 677 BGB)
„Steht die Übernahme der Geschäftsführung mit dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn in Widerspruch und musste der Geschäftsführer dies erkennen, so ist er dem Ge­schäftsherrn zum Ersatz des aus der Geschäftsführung entstehenden Schadens auch dann verpflich­tet, wenn ihm ein sonstiges Verschulden nicht zur Last fällt.“ (vgl. § 678 BGB)
Der "Kater-Abgeordnete" lauert
auf dem Bürger, auf dem Volk
Demzufolge ist ein parlamentarisches oder „freies“ Mandat eine Geschäftsführung ohne Auftrag und gegen den Willen des Geschäftsherrn, welche geeignet ist, dem Interesse des Geschäftsherrn zuwiderzulaufen sowie zuwiderzuhandeln.

Mit dieser Arbeitshypothese können wir weiter die Welt der Parlamentarier und der Politiker erfor­schen, welche in der Tat eine Parallelgesellschaft zu unserer "normalen", bürgerlichen Gesellschaft darstellt. Damit werden die Geschehnisse aus der 75. Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin wenigstens episodenhaft dargestellt.


für weitere Recherchen:
interventionistische Linke -- das Verhältnis der Linken zum Grundgesetz
einiges zum freien Mandat, z.B.
bei wahlrecht.de:
Teil I und Teil II

beim Deutschen Bundestag und
bei Jura Forum Lexikon .
Dagegen steht das Volkssouveränitätsprinzip als Widerspruch zum freien Mandat
a) bei wahlrecht.de und
b) beim Blog Deutsches Unrecht

wikiversity zum parlamentarischen Parteiverrat
BMJ: Parteiverrat nach § 356 StGB (Vergleich zwischen dem Parteiverrat eines Anwalts und dem eines Volksvertreters)

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