Was ist Aufklärung? -- Immanuel Kant

Mittwoch, 9. Februar 2011

Endlich Einigung unter den bitteren weltanschaulichen Konkurrenten

Es hörte sich wie Streit und Dissens an, aber der Konsens fiel stärker ins Gewicht als die Kontrover­se. Das ist für den Deutschen Bundestag eine Überraschung und ein Einzelfall zugleich.

Das Plenum wog das Für und Wider der Politik der Bundesrepublik gegenüber Ägypten ab. Die Fraktionen fanden versöhnliche Worte füreinander, die sie mit leisen Tönen zum Ausdruck bringen ließen.

Trotz leidenschaftlichen Gebarens und lauter Anschuldigungen der einen Fraktion gegenüber ir­gendeiner anderen war der friedfertige Grundton unter den sonstigen Kontrahenten nicht zu überhö­ren.

Im Normalfall spielen die Fraktionen Stellungkrieg so miteinander, als ob es immer noch den I. Welt­krieg geben und Deutschland gegen Deutschland kämpfen würde. Wäre es nicht interessanter, den Blitzkrieg nach Art des II. Weltkrieges zu spielen, indem eine Fraktion gegen eine x-beliebig andere Frak­tion kämpft?


Das könnte so aussehen, wenn eine Fraktion den Versuch wagt, eine andere Fraktion aus dem Parla­ment herauszujagen. Die Fraktion schmeißt die andere so sehr heraus, daß die bedrohte Fraktion das Land verlassen und Asyl in einem anderen Land suchen muß.

Ein Beispiel dafür wäre z.B., wenn in Bremen die NPD die FDP als Fraktion. Dann könnte von „po­litischem Blitzkrieg“ oder „parlamentarischem Angriffskrieg“ die Rede sein.

Vor einigen Monaten ist es vorgekommen, daß der Präsident des Deutschen Bundestages Dr. Lam­mert die Linksfraktion aus dem Plenarsaal herausgeschmißen hat. Dabei hat er die Geschäftsord­nung des Deutschen Bundestages sehr kreativ ausgelegt, damit er diesen außerordentlichen Schritt vornehmen konnte.
Blitzkrieg anstatt des üblichen Stellungkriegs im Deutschen
Bundestag am 26.02.2010

Es sprach während der Debatte, die sich als keine erwiesen hat, zunächst der Abg. Jan van Aken (Linkspartei). Van Aken betonte das völkische Element in der nationalen Auseinandersetzung des Volks mit der Regierung und dem sonstigen Staat. Was auf der Straße steht, ist das agyptische Volk, hob er dramatisch hervor. Er wiederholte mehrmals auf seine pathetische Art und Weise die Wortreihe „das ägyptische Volk“ so, als ob es eine Ikone wäre, die er verehrte, von der er allerdings wenig wußte. Dieses Symbol sei etwas sehr Heiliges, dennoch hat es seinen symbolischen Charakter niemals verloren. Als abstrakte Symbolik ist „das ägyptische Volk“ ist es geblieben. Es konnte und durfte sich im Redebeitrag zu keinem Zeitpunkt individualisieren.

Dennoch sprach er von seinen „ägyptischen Freunden“ so, als ob sie seine besten Freunde wären. Dabei hat er keinen überzeugenden Eindruck auf  sein Publikum gemacht. Das Wort „Solidarität“ nahm er zwar kein einziges Mal in den Mund, aber dennoch kam es vor, als ob er die ganze Zeit von „Solidarität der Deutschen – oder der deutschen Arbeiter vielleicht ?? – mit dem ägyptischen Volk.

Zusammen mit dem Volk redete der Abgeordnete von der Linkspartei von „Freiheit“. Wessen Freiheit? Naja, die Freiheit des Volkes – eine Art „kollektiver Freiheit“. Übersetzt ins Deutsche heißt das Volkssouveränität.

Jahre des Dissidententums in Deutschland hat Abg. van Aken offensichtlich bewogen, agitatorische Töne von sich zu gegeben, wenn das Thema der Volksherrschaft zur Sprache kommt. Daß er noch seinen kämpferischen Geist noch behält, hat er erneut in seinem Redebeitrag bewiesen.

Dennoch sprach er nicht nur von kollektiven Rechten und Freiheiten, sondern erstaunlicherweise von individuellen und institutionellen Freiheiten, die ihrer Natur nicht staatlich sind. Damit zeigte er großes Entgegenkommen gegenüber den anderen Parteien, welche die Grundrechte etwas deutlicher auf ihre jeweiligen Fahnen schreiben.
Bürgerkrieg im Parlament:
Heute war es eine Ausnahme, daß
Friede hergestellt werden konnte.

Leider gab es übermäßig viele Zwischenrufe, als er seine Rede hielt, welche von konservativer Seite herkamen. Erwähnenswert an dieser Stelle ist auch, daß Abg. van Aken den ägyptischen Präsidenten Mubarak der Aufrechterhaltung einer Kleptokratie in seinem Land bezichtigt hat. Diese Behauptung kam bei den anderen Fraktionen nicht gut an, was allerdings noch lange nicht heißt, daß die Behauptung unzutreffend ist.

Ein besseres Aufgebot an Zugeständnissen hätten Abg. van Aken oder ein anderes Mitglied der Linksfraktion nicht aufbringen können.
die Folge des Blitzkriegs im Deutschen Bundestag ist das,
was hier zu sehen ist: leere Stühle !!

Die nächste Rednerin war Abg. Kerstin Müller (Grüne). Auch sie schlug versöhnliche Töne. Verärgert war sie über die bisherige Politik des Außenministers Westerwelle. Dennoch behauptete sie, daß die Politik „nicht hilfreich“ sei. Dabei qualifizierte sie ihre Aussage mit dem Eigenschaftswort „diplomatisch“.

Ferner hob die Abgeordnete die Teilnahme von Frauen am ägyptischen Widerstand gegen den eigenen Staat. Sie hielt die Beharrlichkeit der Teilnehmer für eine moralische Tugend und schilderte sie diese Eigenschaft entsprechend.

„Das Volk muß endlich entscheiden,“ hat sie auch mehrmals als politisches Klischée verlautbaren lassen. Je mehr sie diesen Satz ausgesprochen hat, desto weniger wußte sie, was sie damit sagen wollte. Heißt es, die Deutschen oder der deutsche Staat darf nicht für Ägypten entscheiden? Ist die in Frage kommende Botschaft nichtinterventionistisch auszulegen?

An dieser Stelle wäre eine Zwischenfrage von einer Kollegin oder einem Kollegen angebracht, aber da scheinbar alle unter den Abgeordneten diesen Satz verwenden, ohne genau zu wissen, was mit diesem Satz gemeint ist, wurde sie mit der Bedeutung des fragwürdigen Satzes nicht konfrontiert.

Warum muß das Volk entscheiden? Was ist, wenn es nicht entscheidungsfähig ist? Diese und andere berechtigte Fragen müssen leider unbeantwortet bleiben.
Jan van Aken, MdB

Eines war sich die grüne Abgeordnete sicher: Mubarak muß jetzt auf dieser Stelle zurücktreten. Dennoch im großen und ganzen sprach die grüne Abgeordnete sehr bedacht und friedlich, was bei den Grünen keine Selbstverständlichkeit ist.

Ihr folgte Abg. Dr. Rainer Stinner (FDP). Dr. Stinner beschränkte seine Bemerkungen darauf, die Kollegen der linken Parteien bestehend aus SPD, Grünen und der Linkspartei darauf aufmerksam zu machen, daß das Experiment in Ägypten schief gehen könnte. Darum sollte man auf der Hut sein müssen. Die diffus erwähnten linken Parteien seien nicht vorsichtig genug und gehen mit diesen historischen Ereignissen etwas tollpatschig um. Anstatt den Ausgang der Ereignisse um Ägypten vorherzusagen und sie mit Wunschvorstellungen zu vermengen, sollte man lieber abwarten und viel beobachten, so der Abgeordnete aus der FDP-Fraktion.
Kerstin Müller, MdB

Der nächste Redner war Abg. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU), der zum Thema so gut wie nichts beizutragen hat, außer daß er eine Einigung unter den Fraktionen von rechts bis links festgestellt hat. Ansonsten schlug er nationalistische Töne, indem er meinte, stolz zu sein, daß er als Deutscher und die Regierung zugleich bisher keine groben Fehler in der Ägyptenpolitik begangen hätte.

Danach folgte Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), welche eine staatsmännische Größe unter ihren Kollegen darstellte. Auch diesmal hat sie niemanden enttäuscht, was ihre Fähigkeiten anbelangte, den Sachverhalt richtig, präzise und umfassend wiederzugeben, worum es bei dieser Debatte ging. Sie machte ihre Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam, daß Außenminister Dr. Westerwelle eine dürfte Position in bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte vertritt. Das veranlaßt ihn, Menschenrechtsverletzungen zu dulden und sie demzufolge zu übersehen.
Dr. Rainer Stinner, MdB

Dabei gehören die Menschenrechte nach völkerrechtlichem Verständnis auch zum Völkerrecht, nicht nur die Rechte und Befugnisse der jeweiligen Staaten innerhalb der globalen Gemeinschaft.

In der Tat erinnert die derzeitige Position der Bundesregierung, welche das Auswärtige Amt vertritt, an Positionen, die Honecker vertreten hat, als er versuchte, den Westen vor Eingriffen in die innere Angelegenheiten der DDR abzuwehren. Denn so wie Honecker es dem Westen verwehrt hat, über die Innenpolitik der DDR zu kommentieren, so möchte Dr. Westerwelle, daß sich Deutschland eines Kommentars über die gegenwärtige Lage in Ägypten enthält.
Dr. Andreas Schockenhoff, MdB

Ihr Anliegen war, daß die Ägypter sowohl kollektiv als auch individuell die Freiheit genießen dürfen. Das umfaßt insbesondere die Freiheit vor Folter und Gewalt. Diejenigen, die zu Unrecht inhaftiert wurden – und es gabe nicht weniger davon, müssen unverzüglich entlassen werden.

Wieczorek-Zeul betonte in unmißverständlichen Worten, daß die Menschen in Ägypten vor Folter geschützt werden müssen und daß die Staaten der Welt – also die internationale Gemeinschaft – dafür zu sorgen hat, daß dieser Grundsatz des völkerrechtlich anerkannten Menschenrechts umgesetzt wird.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, MdB in
bezaubernder Pose

An dieser Stelle muß gesagt werden, daß sich das gesamte Haus der Auffassung der „elder states­woman“ Wieczorek-Zeul angeschlossen. Die linken Parteien waren dafür, daß das Menschenrecht als Teil des Völkerrechts umgesetzt werden muß. Ähnliche Töne gab es unter den CDU-Abgeordneten, welche dieser Grundsatz für eine „Selbstverständlichkeit“ gehalten haben. Also wurde Bundesaußenminister Dr. Westerwelle von der sogenannten Rechtsstaatsartei FDP“ überstimmt. Dadurch konnte sich das materielle Rechtsstaatsprinzip auf völkerrechtlicher Ebene in Deutschland gegenüber der Außenpolitik der Bundesregierung durchsetzen.
Honecker inkarniert sich
als Dr. Westerwelle

Danach kam Abg. Holger Haibach (CDU) ans Podium, der die Übereinstimmung unter den Fraktionen im Hause in bezug auf die Ägyptenpolitik des Parlaments betonte. Daraufhin kündigte er an, daß er bald kein MdB wird. Außerdem hat er sich allzu lange im Bundestag aufgehalten. Es ist Zeit für einen Wechsel.

Als Nächster kam der Parteifreund von Haibach, Abg. Thomas Silberhorn (CDU). Mit eindeutigen Worten betonte der Abgeordnete, daß die Umsetzung der Menschenrechte der Staatssouveränität vorgeht. Wer die Menschenrechte nicht verwirklichen läßt, übt keine legitime Staatsgewalt aus.

Die Kleopatra verteidigt
sich trotzdem.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß Einigung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages eine Seltenheit darstellt, welche als solche in vollen Zügen zu genießen. Denn die Parlamentarier neigen eher zur Kriegsführung und verzichten auf Friedfertigkeit, geschweige denn Friedensstiftung. Es gibt den Spruch: „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Dieser Spruch darf nicht zu diesem Phänomen passen. Vielmehr soll man sagen: Die Ausnahme soll in Zukukunft zur Regel werden.

Das Verhältniswahlrecht gebietet allerdings, daß sich die Parteien und – sofern sie im Parlament vertreten – die Fraktion und u.U. die Gruppen sich untereinander einigen. Denn sie haben eine gewisse „Friedenspflicht“ zu leisten.
Bundesaußenminister Dr. Westerwelle:
ein böses Erwachen aus dem Parlament
für den Politiker

zum Mehrheits- und zum Verhältniswahlrecht:
Wenn das Grundgesetz behauptet, daß die Abgeordneten „das ganze Volk“ zu vertreten hat, dann geht es vom Bestehen des Mehrheitswahlrechts in Deutschland aus. Diese Annahme ist allerdings falsch, denn in Deutschland herrscht das Verhältniswahlrecht. Nach seinen Regeln können höch­stens diejenigen Abgeordneten „das ganze Volk“ vertreten, welche Direktmandate errungen haben.
Ein Spaziergang mit den Ägyptern
lohnt sich an dieser Stelle

Nach diesem Wahlrecht haben sich die Fraktionen untereinander eigentlich zu einigen. Tun Sie das nicht, so handeln sie „systemwidrig“ sowie auch „systemunterwandernd“. Das heißt, daß u.U. die Mehrheit der Abgeordneten nicht will, daß das System so, wie es sich gestalten soll, nicht funktioniert. Das kann als eine Art parlamentarischer „verfassungsfeindlicher Sabotage“ angesehen werden. Diese Art Sabotage hat in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus Tradition. Denn diese Praktiken sind geeignet, das Parlament gegenüber der Regierung und den übrigen Staatsorganen zu schwächen. Sie kommen manchmal einer parlamentarischen Selbstauflösung gleich.
Eine "ägyptische Bewegung" hat
gerade in der Welt angefangen.

Auch als Friedensverrat sowie als Anstiftung zum [nicht erforderlichen] Bürgerkrieg kann diese Praxis verstanden werden.
Dr. Norbert Lammert, MdB:
sieht ein Saboteur so aus?

interessante Quellen zu diesem Thema:

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