Was ist Aufklärung? -- Immanuel Kant

Donnerstag, 31. März 2011

Engagierte Bürger: sind sie der leuchtende Pfad der Nation?

der Hauptbahnhof -- der Beginn
eine interessanten politischen
Reise

Im Kongreßsaal in Passau am 27.03.2011 konnte die Kreativität der Teilnehmer deutlich gespürt werden. Hier ging es um den Landeskongreß der bayerischen Jungen Liberalen, die sich „JuLis“ nennen. Sie verschwendeten keine Zeit mit dem üblichen Personenkult, den es bei politischen Zu­sammenkünften üblicher Weise gibt. Wozu soll der Personenkult dienen, wenn alle sich im Saal für kompetent halten?


Es ging also gleich zur Sache. Auf der Tagesordnung standen viele Anträge. Die interessantesten da­von lauteten so:
der Eingang zum Kongreß

Ein Antrag lautete: „Keinen politischen Europäischen Gerichtshof mehr!“ Dieser Antrag zeigte, wie besorgt die Mitglieder der bayerischen Jungen Liberalen um den fehlenden Fortschritt in Rechtsfra­gen auf europäischer Ebene war. Dies läge am Umstand, daß die Richter des Europäischen Ge­richtshofes von den Regierungen der Mitgliedsländer des Europarats gewählt wurden. Eine bessere Alternative wäre, wenn die Richter von den Parlamenten der Mitgliedsländer des Europarats ge­wählt würden, die dann mehr politischen Pluralismus in das Gericht einbringen würden. Die Euro­päischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bevorzugt die parlamentarischen gegenüber der präsidialen Demokratie (vgl. Art. 3 des Zusatzprotokolls der EMRK).
ein einladendes Plakat vor
dem Konferenzsaal


Ein weiteres außen- bzw. weltpolitisches Thema, das die bayerischen JuLis aufgegriffen, war die völkerrechtliche Anerkennung Taiwans durch die Bundesrepublik Deutschland. Jetzt ist es nicht sicher, wie Taiwan „anerkannt“ werden soll: als Republic of China (ROC) oder als Republic of Taiwan?

Dennoch muß festgehalten werden, daß es erstaunlich ist, daß sich Bürger, die in den 20er Jahren sind, mit solchen weltpolitischen Themen befassen. Ob es hier oder wo anders noch eine „Wiederholungsgefahr“ gibt? Oder ist das einmalig für Deutschland?

Das war eine ambitionierte Bemühung um die Neugestaltung der Außenpolitik der Bundesrepublik. Die anderen Themen betrafen die nationale bzw. Innenpolitik nicht nur von Bayern, sondern teilweise auch vom Bund.

Jetzt zurück zur Innenpolitik. Die innenpolitischen Vorstöße der Jungen Liberalen sind in gewisser Hinsicht von der Vorstellung des Staats als Überwachers überschattet. Die Teilnehmer könnten sich nicht zu einer Vorstellung der staatlichen Obrigkeit als „Freund und Helfer“, als positiven Gestalters und als eine Autorität, die Gutes verrichten kann.

Deswegen plädierten viele dafür, daß sich der Staat im sozialen Umfeld zurückzieht, da eine Reform des Staatswesens für unmöglich gehalten wurde.
Behördenwappen der "BLM"

Diese Vorstellung spielte eine gewaltige Rolle, als es darum ging, die Zahl der von Landtag und Staatsregierung berufenen Vertreter im Medienrat „deutlich“ zu reduzieren. Wie „deutlich“ deutlich sein soll, wurde nicht Gegenstand der Debatte. Insofern ist es fraglich, wie die Jungen Liberalen ihre Vorstellungen umsetzen sollen, wenn sie keine Zahlen nennen konnten. War das alles vielleicht bloße „heiße Luft“? Das konnten wir nicht erfahren. Auf jeden Fall soll die Besetzung im Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) „anders“ aussehen.

Andere Themen wurden etwas souveräner behandelt, z.B. der Antrag, die deutsche Sprache nicht im Grundgesetz zu verankern. Darin ist ein Beitrag dieser Gruppe zum Abschied von der üblichen sozialen Gleichschaltung in Deutschland zu erkennen, die hierzulande geläufig ist. Die Schulausbildung soll verbessert werden, indem es mehr Praxis in die Klassenzimmer geben soll.
Passau -- majestätisch und bürgerlich zugleich

Viele bayerische JuLis sind Technokraten und neigen auch zum Nerdsein. Deshalb befürworten sie eGovernment, da sie Verwaltungsprozesse vereinfacht. Wenn Bürgern mehr Einsicht in Ihre Daten gewährt werden, dann ist dies um so mehr ein gutes Argument dafür, eGovernment voranzubringen.

Die neue Asylpolitik für Bayern klang vielversprechend. Anstatt Menschen nach ihrer Gruppen- oder gar Volkszugehörigkeit zu bewerten, schlagen die bayerischen Jungen Liberalen vor, sie nach dem Inhalt ihres jeweiligen Charakters anzusehen. Das hat den Umstand zur Folge, daß diese Menschen, die von Folter und Unterdrückung aus ihrem jeweiligen Heimatland fliehen, humaner behandelt werden. Für Bayern, das immer für einen engen und strengen „sozialen Zusammenhalt“ plädiert, der als solcher mit Sekundenkleber gefestigt zu sein hat, bedeutet das ein großer Fortschritt in geistiger Hinsicht.
die fehlende Schuldenbremse
stellt für die jungen Liberale
eine wirtschaftliche Schieflage
dar.

So wie die meisten FDP-Mitglieder interessieren sich die bayerischen Jungen Liberale für wirtschaftlichen Themen aus der Finanzwelt. Sie kritisieren die Landesbank Bayerns und möchten, daß die Bank die volle Verantwortung für Mißstände auch bei Fahrlässigkeit übernimmt. Auch die Schuldenbremse war ein Thema beim Kongreß. Der Schienenverkehr soll „modernisiert“ werden, indem sie „liberalisiert“ und „nachhaltig ausgebaut“ werden. Was den JuLis ebenfalls am Herzen lag, war die Herabsetzung der Sprit-Preise. Einerseits wollen die Liberalen, daß sich der Staat aus dem wirtschaftlichen Leben heraushält, damit die Unternehmer ihre jeweilige Freiheit in vollen Zügen genießen dürfen.
... aber was ist schlimmer?
Die Defizite im Haushalt
oder die soziale Schieflage?


Aber wenn es um Sprit geht, der die bewegliche Freiheit fördert, rufen sie nach dem „starken Staat“, der alles veranlaßt. Diese Wertkollision fand beim Kongreß keine angemessene Lösung, ja sie wurde nicht einmal als widersprüchlich erkannt und wurde auch nicht als problematisch angesehen.

Die Liberalen setzen sich für die Verwendung der Gentechnik ein und betrachten sie als eine Chance für die Zukunft. Insofern weichen sie von den Grünen und allen anderen Parteien ab, die die Position der Grünen zur Gentechnik zu eigen gemacht haben.

So wie in Hessen ist die Schuldenbremse in Sachen des staatlichen Haushaltes ebenfalls ein Thema in Bayern. Es war für den Vorstand so wichtig, daß er einen Abgeordneten aus dem Maximilianeum, Herrn Karsten Klein, MdL, eingeladen hat, um über dieses Thema zu sprechen. Die Teilnehmer waren dennoch nicht so sehr vom Thema begeistert, daß sie alles andere liegengelassen haben, um sich nur dieser Sache zu widmen. Demzufolge ist der Vorstand in seiner Bemühung gescheitert, die Kongreßteilnehmer für dieses politische Thema „heiß“ zu machen.
viel los beim Landeskongreß

Es gab auch ein paar „obskure Anträge“, die klärungsbedürftig waren, aber dennoch keine angemessene Klärung während des Kongresses finden konnten. Einmal gab es einen Antrag über den Erlaß eines neuen Bundestagswahlrechts. Es soll „demokratischer und liberaler“ werden, aber dem Inhalt nach wollen die Antragsteller die Erststimme abschaffen. Das hätte den Umstand zur Folge, daß es keine Abgeordneten mehr geben würden, die Direktmandate ausüben. Das System wäre dann ein rein Verhältniswahlrechtssystem so, wie dies bereits auf kommunaler Ebene der Fall ist.
Karsten Klein, MdL

Dann gab es Überlegungen hinsichtlich der Frage, ob die direkte Demokratie ein Allheilrezept sei. Die Antragsteller trugen ihr Unbehagen vor allem gegenüber den jüngsten Ereignis in Stuttgart vor, boten aber keine Alternative an.

Die Festlegung einer Dezibel-Obergrenze in Diskotheken war ebenfalls ein Thema beim Kongreß, das zu den „altersspezifischen oder altersgerechten“ Themen gehörten.
Das Antragsheft des
Kongresses


Auch bürgerrechtliche Themen fanden ihren jeweiligen Ausdruck, als über den Antrag „Kein Generalverdacht gegenüber Bürgern mit Zivilcourage – Extremismus-Klausel abschaffen!“ erörtert wurde. Da sich die Teilnehmer um das Ansehen der FDP Sorgen machten, forderten sie die Entwicklung von ethischen Leitlinien für Funktionsträger der FDP.

Schließlich kamen die Hundefreunde nicht allzu kurz, als das Thema „Abschaffung der Hundesteuer“ diskutiert wurde.

Im großen sowie im ganzen gab es rege Diskussion und Beteiligung durch die Teilnehmer. Der Blick der Teilnehmer war oft weitsichtig, obwohl er oft von den Technokraten getrübt wurde, die sich bei den Kleinigkeiten ausharrten.
Max Stadler, MdB und
parlamentarischer Staatssekretär
bei der Landesvorsitzenden

Nicht zuletzt ist die Erscheinung des „geistigen Vaters“ der FDP Bayern, Herrn Max Stadler, MdB, der gleichzeitig parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesmininsterium der Justiz ist. Er plädierte für mehr Besonnenheit unter den Teilnehmern und ermutigte sie, bedacht zu handeln.

Ebenfalls war Sebastian Körber, MdB anwesend und hat bereits am Anfang des Kongresses einiges gesagt. Schließlich ist er noch jung genug, um Mitglied der JuLis zu sein. Aus dieser Perspektive ermutigte er die Teilnehmer, aktiv in der Parteienpolitik zu bleiben.
Sebastian Körber, MdB

Es blieben noch viele Themen leider auf der Strecke. Die Sozialpolitik wurde so gut wie gänzlich ausgeklammert. Zwar gab es einen Antrag, der die Geldleistungen unter den Sozialleistungen herabsetzen würde. Er hieß „Konzentration auf Sachleistungen zur Förderung von Kindern aus ALG II-Bezieherfamilien“. Sozialhilfeempfänger sollen lieber Sachleistungen erhalten, da sie – vielleicht aus der Einschätzung der Jungen Liberalen – mit Geld nicht richtig umgehen könne. Den Jungen Liberalen ist nicht aufgefallen, daß es arme und sonst benachteiligte Menschen gibt, die die Aufmerksamkeit der staatlichen Hoheit brauchen.
Hoffentlich ist dies kein "freier
Fall" nach unten.

Auch hier herrscht die Vorstellung, daß der Sozialstaat nichts anders ist und auch nichts anders zu sein hat als eine Institution, die armen Menschen – darunter vielleicht auch Familien, Studenten und Schwangeren – Geldleistungen zu erbringen hat. Diese Leistungen bezeichnen sie als „Transferleistungen“ deswegen, weil das Geld von den Reichen herkommt und an die Armen und sonstigen verteilt werden, die diese Leistungen in Anspruch nehmen dürfen.
Politik ist aber nicht der Bereich des
endlos Machbaren.

engagierte Bürger – eine nirwan-O-analyse:
Die Kongreßteilnehmer haben erkannt, daß es günstig ist, engagiert innerhalb einer Partei zu sein, und auch wenn es die Jugendabteilung der Partei ist. Allerdings müssen günstige Bedingungen hergestellt werden,damit sich dieses Engagement rentieren kann.

Leider gehen diese Bürger von ihren Wünschen und Bedürfnissen aus, anstatt zu schauen, ob sie eine Politik betreiben können, die „repräsentativ“ ist. Das bedeutet, daß der in einer Partei engagierte Bürger danach Ausschau halten soll, nicht nur sich, sondern irgendwelche Bürger zu vertreten, die er zu vertreten gewillt ist. Das kann durchaus eine „Klientel“ sein, denn in Deutschland herrscht nicht das Mehrheits-, sondern das Verhältniswahlrecht. Dieses System erlaubt es den Parteien, den Fraktion und den Politikern, Interessen von politischen Minderheiten zu vertreten.
Den Thesen von John Stuart
Mill zum Trotz hat diese Frau
keine Chance, von der FDP
ordentlich vertreten zu sein.

Also erweist sich die Frage: „Wen vertreten Sie?“ als berechtigt, welche auch die JuLis beantworten soll. Denn eine Politik, welche am Volkssouveränitätsprinzip, aber auch am Volk und letzten Endes auch am Bürger vorbeiregiert, könnte sich irgendwann mal später im Abseits befinden (vgl. das Beispiel aus Baden-Württemberg hinsichtlich des Bahnhofs „Stuttgart 21“). Diese Politik wird sich außerdem als nicht verfassungskonform, ja sogar als verfassungswidrig herausstellen. Darum ist es eine gute Idee, einen guten persönlichen Draht zum Bürger zu pflegen und sich dabei in Bürgernähe zu üben.

Quellen zur weiteren Recherche:
Junge Liberale Bayern: Pressemitteilung zu diesem 76. Landeskongreß
Karsten Klein, MdL aus Bayern
Karsten Klein auf facebook
Sebastian Körber, MdB
Max Stadler, MdB und parlamentarischer Staatssekretär beim BMJ
... und dieser Mann auch nicht !!
wikipedia zu Volkssouveränität
wahlrecht.de: Volkssouveränitätsprinzip und Wahlergebnisse
wikipedia zu Leuchtender Pfad [auf Spanisch: sendero luminoso]
globalsecurity.org zu Leuchtender Pfad

Die guerrilla-Gruppe „sendero luminoso“ wirkte als Waffenaufstand in Peru gegen die dortige Regierung. Übersetzt ins Deutsche heißt die Gruppe „Leuchtender Pfad“.Unter diesem Ausdruck meinen wir so was wie geistige Aufklärung, bürgerliche Emanzipation und demzufolge keine Waffengewalt.
Auf einer Briefmarke sieht das schön aus,
aber im Leben? Wie sieht es dann aus?


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